Unverhofft glücklich by Henningsen Kristine Storli

Unverhofft glücklich by Henningsen Kristine Storli

Autor:Henningsen, Kristine Storli [Henningsen, Kristine Storli]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: insel-verlag
veröffentlicht: 2015-05-17T16:00:00+00:00


 10

Es hatte die ganze Nacht geregnet, der Asphalt schimmerte schwarz. Karl Henrik trug braune Lederschuhe und bewegte sich im Slalom zwischen den Pfützen. Regenwürmer krochen über den Weg, suchten blind nach ihren Erdlöchern.

Er wollte zum Madserud-Pflegeheim. Als er den Frognerpark durchquerte, sah er weder Vigelands Statuen noch den Ententeich, die hohen Bäume, die Spielplätze oder die Brunnen. Es kam ihm vor, als rüste er sich zum Kampf. Genau so fühlte es sich an, und das störte ihn sehr. Er hatte eine Frau kennengelernt, das wollte er seiner Mutter erzählen. Sie würde sich doch freuen? Bestimmt würde sie sich darüber freuen, versuchte er sich zu beruhigen und merkte nicht, dass sein Gang bei diesem Gedanken zackiger wurde, fast, als wolle er ihr diese Neuigkeit mit den Absätzen seiner Schuhe einbläuen. Sie war seine Mutter, er würde weiterleben, selbstverständlich, und selbstverständlich würde sie sich freuen. Sie wollte doch sicher, dass er eine Zukunft hatte, auch wenn sie nicht mehr da war? Welche Mutter würde sich das für ihren Sohn nicht wünschen? Er straffte die Schultern und spürte einen beginnenden Kopfschmerz. Es pochte unheilvoll an den Schläfen und strahlte langsam, aber sicher auf den ganzen Kopf aus.

Er hatte das Pflegepersonal im Heim schon kennengelernt. Sie waren ebenso freundlich und fürsorglich wie im Krankenhaus und hatten seine Mutter sogar mit Kaffee und Kuchen begrüßt. Nun aber wich er ihren Blicken aus und nickte ihnen auf dem Weg zum Zimmer seiner Mutter nur kurz zu. Vor ihrer Tür fühlten sich die Schmerzen bereits so schlimm an, als wolle ihm der Kopf platzen. Er presste seine Handflächen gegen die Schläfen und verzog das Gesicht. Ich muss die Schwestern nachher um eine Schmerztablette bitten, dachte er und drückte den Türöffner. Die Schiebetür glitt auf, er blickte geradewegs auf einen wohlbekannten Rücken. Niemand hatte einen Rücken wie Tante Ingerid.

Ingerid war mit siebzehn Jahren als Krankenschwesternschülerin nach Dänemark gegangen und hatte dort den Medizinstudenten Jesper Falk kennengelernt. Sie heirateten ein Jahr später, zogen nach Århus in ein großes Haus direkt am Meer und bekamen in fünf Jahren drei Söhne. Solange die Kinder klein waren, blieb Ingerid als Arztgattin zu Hause, danach arbeitete sie in Jespers Praxis. Manche Patienten vergaßen, einen Termin zu machen, nachdem sie mit ihr am Telefon über ihre Beschwerden hatten sprechen können und von ihr getröstet worden waren.

Tante Ingerid sagte nie, ob es ihr gutging oder schlecht. Ingerid Abel Falk war einfach da und trug der anderen Last. Sie hatte einen üppigen Körper, war geradezu breit, ganz anders als seine schlanke Mutter, ihre Augen blau und sanft, nichts schien sie schockieren zu können. Wurde Tante Ingerid gefragt, wie es ihr gehe, antwortete sie stets mit einem kleinen Lächeln: Ach, es ist, wie es ist. Aber wenn sie aufstand, sich aus einem Sessel oder einem Sofa erhob, war es, als blitze das in ihr gespeicherte Leid kurz auf. Denn dann zogen sich ihre Augen zusammen, sie fasste sich an den Rücken oder die Hüfte und konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Sie jammerte nie, sie nahm sich nur die nötige Zeit, um mit ihrer ganzen Last auf die Beine zu kommen.



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